8/7/21
Replik auf:
Nau.ch
Nau you are kidding me

Nau.ch legte Brians Briefe einer Grafologin vor, die seine Handschrift unter die Lupe nehmen soll. Aufgrund des Schriftbildes zieht die Grafologin Rückschlüsse auf Brians Persönlichkeit und weist ihm Attribute wie „überheblich“, „beschlagnahmend“ und „ichbezogen“ zu. Das sind Attribute die genau dem entsprechen, wie Brian medial als „Carlos“ dargestellt wurde und wird.

Anmassend und unseriös

Es ist höchst unwahrscheinlich, dass diese Schriftbildanalyse im Unwissen darum, um wessen Schrift es sich handelt, zustande gekommen ist. Daher ist es nicht erstaunlich, dass eine grafologische Einschätzung zu einem Schluss kommt, welcher schlicht die bereits zuvor gehaltene Meinung wiedergibt. Zudem sind grafologische Gutachten umstritten, da ihre Resultate nicht evidenzbasiert und methodisch intransparent sind. Abgesehen von anekdotischen Beweisen gibt es keinen konsistenten und nachvollziehbaren wissenschaftlichen Kanon, der insbesondere der „diagnostischen“ Anwendung von Grafologie eine Glaubwürdigkeit jenseits des „Barnum-Effekts“ zuspricht.

Strukturen vor Charakter

Durch die gesamte boulevardeske Hetzkampagne, die seit 2013 gegen „Carlos“ geführt wird, zieht sich ein Denkmuster wie ein roter Faden hindurch: Das Interesse wird auf die angeblichen Charaktereigenschaften des Menschen gerichtet, anstatt auf die Strukturen um den Menschen herum. Man masste sich an, über „Carlos“ Persönlichkeit zu urteilen anstatt sich über die Fakten seines Falles zu informieren. Insbesondere der Boulevard breitete trivialste und persönlichste Spekulationen aus, um diesen „Carlos“ als möglichst verkommen darzustellen.

Dieses problematische Denkmuster reproduziert auch die Grafologin. Ihr Erkenntnisinteresse beschränkt sich auf Brians Person und sie blendet in ihrer Einschätzung komplett aus, welche äusseren Einflüsse auf Brians Schriftbild einwirken könnten. Einmal mehr erweist es sich als fatal, dass es medial attraktiver und einfacher ist, reisserisch gegen eine Person vorzugehen anstatt kritisch gegen Strukturen.

Weglassen was nicht passt

Man kann Brians Handschrift herablassend als „nicht entwickelt“ bezeichnen. Oder man kann sich fragen, weshalb Brians Recht auf Bildung während Jahren missachtet worden ist. Oder welchen Einfluss drei Jahre Folterhaft auf das Schriftbild einer Person haben kann. Dieser Artikel sagt schlussendlich viel über das Medium und die zitierte Expertin aus, und nichts über Brians Persönlichkeit.